9 - Queen of the Biomacht

queen of the biomacht
von SOPHIE REYER
mit "optischen Anmerkungen" von Harald Häuser
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: An meinen Haaren möcht ich sterben.
(Der Tochter der Queen of the Biomacht wird die Ausweglosigkeit der Lage bewusst)

An meinen Haaren
möcht ich sterben.
An meinem Schwanen
Hals mich erhängen.
In meinem engen
Mieder ersticken.
Vom Silikon meiner
Brüste erdrückt sein.
Vom Gerippe die Hüft
Haut zerritzt von der
Wimper der Gräte
verschluckt an mir
selbst an meinen
Haaren möcht ich
sterben.


: Treegirl. A song. 6.

Dornen an den Handgelenken.
Ich bin ein verzweifelter Bast.
Sie finden mich auf Youtube. Also das, was noch von mir übrig ist.
Ich verzehre.
Verzerre.
I am a treegirl, baby.

: Königin der Waren. Reprise

Bist die Königin des Positiven/ Bist die Königin im Vogelfliegen / Bist die Königin des kleinen Bauches / Bist die Königin der Schmolllippen / Bist die Königin des Kicherns / Bist die Königin der Waren / Die Wimpern rascheln im Ramsch gepanschter Tusche Der Körper und sein Bild im Paar flirten: vermischen sich ineinander / die du bist die du wärst und bleibt nichts übrig dazwischen / Verkrusteter Mundgeruch zwischen den Zähnen als letztes Menschlichkeitsmerkmal / Gegossene Formen aus schlankem Geplänkel es gibt dich nicht / Bist die Königin des Kapitals / Die Seele ist Sperrgut und hat keinen Platz sich in so einem schlanken Körper zu krümmen / Come on! / Hockst im Innern deiner Schönheit und kannst nicht mehr zurück nach draußen / Pferchst dich ein in die Abstraktion des Liebens als Kalkulation deine besten Freunde sind deine größten Feinde sind die Kilokalorien/ Bist die Königin des Kindchenschemas weil sie hinter Ohren noch nach Frischem riechen und duziwuzi keine Falten in die du dich duckst alle Rillen sind deine Feinde/ Die panische Angst davor nicht verkauft zu werden macht dich krank / Bist die Königin der Kinder Bist die Königin der Selbstaufopferung / Bist die Königin des Plastikkörpers / Bist die Königin des Positiven / Bist die Königin im Vogelfliegen / Bist die Königin des Plastikkörpers / Bist die Königin des Positiven / Bist die Königin des kleinen Bauches / Bist die Königin der Schmolllippen / Bist die Königin des Kicherns / Bist die Königin der Selbstaufopferung / Bist am Sprung / Lässt dich begehren / Liebst’s wenn du lieben kannst / Anziehend damit sie dich kaufen du / Queen of the Biomacht/
: Treegirl. A song. 7

Ich hab jetzt eine knorrige Haut.  
Hör von außen, wie es mir nachraschelt bei jedem Schritt.
Das Wetzen der Sohlen aus Holz auf dem Fußboden.
Schuppenmonster.
Sie können mich googeln als Absurdität
I am a tree girl.
Mich hat es nie gegeben.
Ich bin Gegenstand.
Bin Randerscheinung.
Ich trag die Herzigkeit der Krüppel im Schuppengesicht.
Hab mich aufgegeben.
Ich bin eine Fehlgeburt.
Von jeher verzerrt.
Verruciformis.
Epidermodysplasia Verruciformis.
EVER 1 und 2.
Also das sind die Gene, die sie mir mutiert.
Rotbraune Flecken.
Grausige Rindenhaut.
Schauen sie, bin ein Schatten, der vor sich her baumelt.
Baummädl.
Wenn mir nur endlich die Augen zuwachsen, sage ich den Ärzten.
Die geben mir Spritzen gegen die Angst und Vitamin A.
Auf den Youtube-Videos kannst du mich googeln aber da ist nichts wahr.
Ich bin die Summe aller Karzinome.
Keiner denkt dran, mich zu schonen.
Früher innen.
Jetzt auch außen.
Aber schon immer.
Nicht Ich.  
I am a treegirl.


: Skyborg stürzt ab

Weißt du, ich wollt nicht zu weit rauf fliegen.
Ehrlich.
Aber ich dachte, wenn schon steigen, dann richtig.
Dann so lang, bis man fällt.
Und da war so ein Sehnen. So wie eine Musik.
Dass ich vielleicht doch mehr sein könnte als eine Maschine.
Ich bin höher geflogen und höher.
Vor dem Aufprall, da hab ich es verstanden. Fliegen heißt sinken lassen. That´s all.
Am Ende fallen wir.
Aber das Fallen geschieht um des Steigens willen1
Man weiß dann nicht mehr, ob nur das, was um einen herum ist, absinkt und man selber steigt.
Beim Tauchen, glaub ich, ist das ähnlich.
Irgendwann ist die Richtung auch nicht mehr wichtig.
Und ich bin nicht mehr wichtig.
Ich hab die Sonne gesehen.
Das reicht für ein Leben.
Auch wenn es nur ein Roboterleben ist.
Jetzt bin ich ganz dein Traum geworden.
Richtig?

1 Jesaia
: Hoffnung 5

Jetzt beginnt wieder alles.
Von Anfang an.
Also:
Zuerst sind so Menschen in die Zeit hinein gestreut.
Und haben Bindehäute zwischen den Händen.
Und glätten einander die Gesichter.
Und ihre Finger umstricken einander, sind Halteseile.
Und sie hören den lispelnden Himmeln zu.  
Und entsteigen dem Schweigen manchmal.
Und machen sich auf am Morgen.
Und wissen: Als außen und innen sind sie ineinander verklammert.
Und die Jungen ziehen den Alten die Jalousien ihrer laschen Haut zu.
Und wohnen in den Falten der Alten.
Und die Menschen legen ihre Ritzen ineinander und legen sich gegenseitig schlafen.
Und der Atem des einen ist die Schaukel des Anderen.
Und sie wissen, dass die Toten sich auffächern in ihnen.
Und sie spielen miteinander Vater Mutter Kind.
Und sie wechseln die Rollen.
Und sie rollen über die Hügel der Momente.
Und sie takten einander die Zeit.
Und sie schlüpfen in die Stillen.
Und die Lichter gelieren ihnen die Haare.
Und sie wissen nichts anders als das: Gestuft sein.
Sie fallen zwischen die Spalten der Zeit.
Und sie haben immer die Engels Segel im Kopf, diese schrecklichen Schatten.
Und sie wissen: Gestern hat die Stadt gesungen.
Und morgen wird wieder Mittagessen sein.
Und wenn die Nacht herankriecht, ist der Schlaf eine Koje.
Und sie geben einander Wörter: Ehrenwörter, Sonnenwörter. Gebogene und gebongte.
Bunte, bucklige, gestrickte Wörter. Und karo- gemusterte Wörter. Gemolkene und
milchige.
Zum Frühstück schenken sie einander Lispel Gras und andere Wucherungen.
Und das Aufknacken der Momente ist nicht mühsam.
Und die Drehleier der Gedanken wird ausgelacht.
So sind diese Menschen in eine Zeit hinein gestreut, die leuchtet.


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